10 + 5 Dinge, die du von deinem Tierschutzhund lernen kannst
Ein Hund mit Vorgeschichte kann dich an deine Grenzen bringen - und darüber hinaus.
Er ist einer der besten Lehrer, den du dir wünschen kannst, wenn du bereit bist, dich darauf einzulassen.
Sein Lehrplan ist unerschöpflich und sehr individuell, denn er ist genau auf dich abgestimmt.
Aus diesem Repertoire habe ich 10 plus 5 Dinge ausgesucht, die du - mit ihm zusammen oder auch für ihn - lernen oder dir einfach von ihm abschauen kannst.
Inhalt
Akzeptanz und Anpassungsfähigkeit
Leben im Hier und Jetzt
Dein Hund lebt immer im Augenblick - das tat er in vielleicht unangenehmen Zeiten im Shelter oder Tierheim und das tut er jetzt bei dir in Sicherheit.
Wir Menschen hingegen neigen dazu, mehr Zeit in der Vergangenheit oder Zukunft zu verbringen als in der Gegenwart - wenn wir z. B. Situationen reflektieren, die bereits geschehen sind oder uns Sorgen um Dinge machen, die vielleicht nie geschehen werden.
Das Leben findet jetzt statt, nicht gestern oder morgen.
Dein Hund weiß das, denn er ist immer in der Gegenwart. Er macht sich keine Gedanken über Vergangenes oder Sorgen um die Zukunft. Er nimmt das Leben, wie es gerade ist.
Natürlich können bei ihm Verhaltensproblematiken oder Traumata aufgrund vergangener Erfahrungen auftauchen. Das heißt aber nicht, dass dein Hund in der Vergangenheit lebt. Manches hat sich bei ihm nur durch Emotionen eingeprägt, wie es auch bei Menschen vorkommt.
Und ein sogenannter Schlüsselreiz reicht, um diese Emotionen und das daran gekoppelte Verhalten hervorzurufen.
Machen wir dazu mal ein positives menschliches Beispiel: Du riechst frisch gebackenen Kuchen und denkst sofort an deine Oma, wie sie in ihrer Küche steht und den Gugelhupf aus dem Backofen holt. Das löst bei dir dann Wohlbehagen aus - oder auch Hunger. š
Wenn dein Hund einen solchen Schlüsselreiz bekommt, läuft bei ihm das āerlernteā Programm ab. Hat es sich gelegt, ist er wieder ganz im Augenblick, während wir Menschen häufig in der Vergangenheit herumdümpeln, um noch mal richtig schön zu leiden, uns zu ärgern, uns zu schämen oder was auch immer. Freuen wäre natürlich auch eine Option. š
Diesbezüglich kannst du viel von deinem Hund lernen - und auch mit ihm.
Indem du ihm bei Reaktionen auf Schlüsselreize nach und nach Alternativen bietest, die ihm ermöglichen, sein Verhalten anzupassen - ggf. auch zusammen mit einem erfahrenen Hundetrainer -, kannst du für ihn und für dich Möglichkeiten entdecken, Vergangenes zu bewältigen.
Wenn ihr beide ganz im Hier und Jetzt seid, ist eine tiefere Kommunikation möglich - körperlich und energetisch.
Kommunikation
Hunde kommunizieren sehr fein, sehr direkt und sehr ehrlich.
Bei ihrer Körpersprache ist jedes kleine Detail wichtig und wird vom (hündischen) Gegenüber sofort wahrgenommen.
Normal sozialisierte Hunde kommunizieren meist deeskalierend, um unnötige Rangeleien zu vermeiden. Das resultiert aus ihren wölfischen Wurzeln, denn in freier Wildbahn bedeutet jede Verletzung eine Minderung der Überlebenschance.
Hunde aus dem Tierschutz haben manchmal Defizite bezüglich ihrer Sozialisierung. Vor allem wenn sie sehr jung ins Shelter kamen oder lange dort waren und es zu körperlichen Auseinandersetzungen oder Konkurrenz um Futter kam. Sie können dann zu Überreaktionen neigen, um sich selbst oder ihre Ressourcen zu schützen. Aber auch dies ist direkte und ehrliche Kommunikation.
Wir Menschen neigen dazu, uns unklar auszudrücken und damit Missverständnissen ihren Weg zu bahnen. Das mag einerseits daran liegen, dass wir gedanklich schon weiter sind und unser Gegenüber unsere Gedanken nun mal nicht lesen kann - oder andererseits unsere Worte oder unseren Ton nicht ganz treffend wählen.
Übrigens kannst du nicht nicht kommunizieren. Dein Körper spricht immer. Und dein Hund sowie dafür empfängliche Menschen lesen diese Körpersprache.
Die Frage ist nun, ob diese mit dem konform geht, was du mitteilen willst.
Genau hier entstehen die häufigsten Missverständnisse mit deinem Hund.
Denn er liest deinen Körper und deine Energie. Die Sprache ist für ihn zweitrangig.
Du siehst, auch hier kannst du viel von deiner Fellnase lernen.
Deinen Hund in seiner Kommunikation mit Artgenossen zu beobachten, kann sehr lehrreich sein.
Sollte das Ganze aber zu eskalieren drohen, musst du als Hundehalter natürlich umgehend einschreiten.
Körperbewusstsein
Um deinen Körper bei der Kommunikation einsetzen zu können, ist ein gewisses Körperbewusstsein von Vorteil.
Dein Hund ist auch darin ein Meister.
Er bewohnt seinen Körper vollkommen - bis in die kleinste Fellspitze - und ist sich jeder seiner Bewegungen voll bewusst. Das muss er auch, denn er setzt ihn ja gezielt zur Kommunikation ein, und hierbei sind korrekte Signale überlebenswichtig.
Wir Menschen verlieren unser Körperbewusstsein zu einem Großteil bereits in der Kindheit. Indem wir uns an Vorbildern orientieren oder uns auferlegt wird, welche Haltung wir einzunehmen und wie wir uns zu bewegen haben, kommt uns die natürliche Haltung fast völlig abhanden. Wir spüren unseren Körper oft erst dann wieder, wenn er wehtut.
Da wir zur Kommunikation vorwiegend die Sprache einsetzen, gerät unsere Körperaktion in den Hintergrund. Bis dann ein Hund in unser Leben tritt und uns deutlich zeigt, wenn das, was wir sagen mit dem, was wir zeigen, absolut nicht zusammenpasst. Ganz einfach, indem er anders reagiert als erwartet, z. B. wenn ein ängstlicher Hund vor uns zurückweicht, weil wir uns ihm zu forsch nähern.
Wie wäre es, deinen Körper mal wieder bewusst zu spüren?
Das kann eine sehr meditative Übung sein, denn es bringt dich ganz flugs ins Hier und Jetzt.
Ehrlichkeit
Dein Hund drückt mit seinem Körper und auch mit seiner Lautgebung genau das aus, was er mitteilen will - direkt, ehrlich und vollkommen klar.
Das mag für dich als Hundemensch nicht immer angenehm sein, wenn er z. B. im Geschirr steht, um einem Artgenossen ordentlich die Meinung zu stoßen. Aber diese Aktion ist kurz und knackig - und hat sich dann erledigt.
Wir Menschen dagegen setzen Ehrlichkeit oft mit Beleidigung oder Respektlosigkeit gleich.
Aber Ehrlichkeit kann auch respektvoll und höflich sein, wenn du dich nicht dahinter versteckst, um aufgestaute āAltlastenā loszuwerden.
Andererseits sind viele Menschen nicht ehrlich, weil sie niemandem ans Bein pinkeln wollen.
Aber vielleicht wäre dein Gegenüber ja froh, eine ehrliche Meinung bzw. eine klare Aussage zu erhalten, sofern sie angenehm verpackt ist.
Denn die meisten Beziehungen - welcher Art auch immer - scheitern an dem, was gemeint aber nicht gesagt oder gesagt aber nicht gemeint wird.
Mit deinem Hund kannst du dich in ehrlicher und klarer Kommunikation üben, denn er liest dich wie kein anderer. Und sein direktes und ehrliches Feedback ist dir gewiss.
Geduld
Dein Tierschutzhund braucht Zeit, um anzukommen bzw. mit neuen Dingen umzugehen.
Indem du ihm diese Zeit gibst, lernst du, dich in Geduld zu üben.
Was auch immer du ihm bei- oder näherbringen willst, du solltest dich dabei auf sein Tempo einstellen.
Vielleicht führt er einen Befehl nicht innerhalb von Sekunden aus - was z. B. bei Herdenschutzhunden durchaus dauerhaft der Fall sein kann š - oder er reagiert immer wieder ängstlich auf Dinge, die er eigentlich schon kennen müsste.
Aussagen wie āJetzt ist aber mal gutā, oder āJetzt stell dich nicht so an, das kennst du doch schonā, sind menschlich, helfen deinem Hund aber nicht weiter.
Denn du kannst ihm Verhalten nicht wie einem Menschen erklären - und selbst der braucht oft etwas länger, um mit eingebrannten Emotionen umzugehen.
Vertrauen
Du kannst deinen Hund nicht zwingen, dir zu vertrauen, denn Vertrauen braucht Zeit und positive Erfahrungen.
Und mit dem Vertrauen deines Hundes in dich, kann auch dein Selbstvertrauen wachsen - wenn du es zulässt. Denn du kannst nicht verlangen, dass dir jemand vertraut, wenn du es selbst nicht tust.
Zeig deiner Fellnase, dass du vertrauenswürdig bist.
Lerne hündisch, damit du wahrnimmst, wenn er z. B. Berührungen nicht mag, bestimmte Situationen ihn überfordern und er deine Hilfe braucht.
Tierschutzhunde haben oft kein Vertrauen gelernt. Sie hatten keine festen Abläufe, keine Bezugspersonen, wussten nicht, ob und wann es wieder etwas zu essen oder zu trinken gibt, ob ihr Mensch auch wirklich wiederkommt, etc.
Das Thema Vertrauen ist eine gute Möglichkeit, zusammen mit deinem Hund zu wachsen und zu einem Team zu werden.
Achtsamkeit und Weitsicht
Durch deinen Hund lernst du, deine Umgebung achtsamer wahrzunehmen, um auf mögliche Reaktionen seinerseits besser vorbereitet zu sein. Indem du z. B. die Gegend nach möglichen Gefahrenquellen oder Aufregern für ihn abscannst, kannst du vorausschauend und adäquat agieren.
Und indem du deinen Hund achtsam wahrnimmst, kannst du in ihm aufkommende Gefühle frühzeitig erkennen und ihn in herausfordernden Situationen unterstützen.
Auch die Achtsamkeit auf dich selbst ist hier gefragt. Indem du erkennst, welche deiner Aktionen - körperlich wie stimmlich - deinen Hund evtl. ängstigen oder einschüchtern, kannst du sie entsprechend anpassen.
Übrigens ist auch dein Hund achtsam und zu vorausschauenden Handlungen fähig. Indem er z. B. einen Artgenossen wahrnimmt und versucht, diesem so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, handelt er deeskalierend. Ein achtsamer Hundemensch nimmt dies wahr und gibt ihm den entsprechenden Freiraum.
Lebensfreude
Schau ihm zu und lerne.
Hunde sind ein Ausbund an Lebensfreude.
Und auch wenn sie bereits unschöne Erfahrungen gemacht haben, können sie wieder dahin zurückfinden.
Gemeinsames Spiel ist dazu hervorragend geeignet.
Es macht Spaß, fördert die Bindung und vertieft die Beziehung.
Die Voraussetzung hierfür ist, dass beide Seiten Freude daran haben und bereit dazu sind.
Und indem du beim Spiel mal die Kontrolle aufgibst und so richtig aus dir herausgehst, entdeckst du diese Quelle an Lebensfreude auch in dir.
Akzeptanz und Anpassungsfähigkeit
Deinem Hund ist egal, ob deine Frisur sitzt, was für ein Auto du fährst und wie voll dein Bankkonto ist. Er nimmt und liebt dich, wie du bist.
Außerdem ist er ein Meister der Anpassung - an Lebensräume, Gegebenheiten, etc. (was bei ungünstigen Bedingungen natürlich nicht immer förderlich ist).
Wir Menschen haben damit eher ein Problem.
Lebewesen, egal ob Mensch oder Hund, werden kritisiert, weil sie Unzulänglichkeiten aufweisen (die meist nur in unserem Kopf existieren).
Neue Situationen stellen uns manchmal vor Herausforderungen, die wir glauben, nicht bewältigen zu können.
Situationen und Lebewesen anzunehmen, wie sie sind und damit umzugehen, ist etwas, das du dir von deinem Hund abschauen kannst.
Vielleicht magst du ja bei ihm damit anfangen, indem du seine āSpecial Effectsā akzeptierst und dich darauf einstellst.
Ruhe, Gelassenheit und Klarheit
Das sind Eigenschaften, die ein Leittier auszeichnen.
Und in manchem Hund - ja, auch aus dem Tierschutz - steckt ein Leithund.
Ich hatte so ein Exemplar und durfte unendlich viel von ihm lernen.
Als Hundemensch sind diese Qualitäten eine wichtige Grundlage, um eine tiefe und vertrauensvolle Beziehung zu deinem Vierbeiner herzustellen. Denn deine Ruhe, Gelassenheit und Klarheit geben deinem Hund die Sicherheit, die er zum (Über)Leben braucht.
Diese drei Eigenschaften, bringen dich übrigens nicht nur bei deinem Hund weiter, sondern auch im normalen Leben. Denn mit Ruhe und Gelassenheit siehst du klarer. Du kannst deinen Fokus ausrichten, Entscheidungen treffen und deinen Weg gehen.
Loslassen
Indem du deinem Hund hilfst, Schritt für Schritt seine Vergangenheit loszulassen, kannst du es auch mit deiner eigenen tun. Denn oft zeigt er dir deine Baustellen.
Wenn er z. B. sehr ängstlich ist, überlege dir, welche Rolle Angst in deinem Leben spielt oder ob du in puncto Selbstsicherheit und -vertrauen noch eine Schippe drauflegen könntest. Möglicherweise darfst du auch lernen, anderen Menschen, die ihm oder dir zu nah kommen wollen, Grenzen zu zeigen.
Oder du fragst dich ehrlich, was seine Angst dir bringt. Vielleicht kannst du z. B. nicht so oft unter Menschen oder zu Veranstaltungen gehen, weil du deinen Hund nicht mitnehmen kannst und bist eigentlich ganz froh darüber. Oder du genießt es insgeheim, dass ein Lebewesen nur dir vertraut und sonst niemandem.
Egal, was dein Hund dir zeigt - es hat mit dir zu tun.
Denn du bekommst immer genau den Hund, den du gerade brauchst. Er stellt dir genau die Aufgaben, die es aktuell zu lösen gilt, um dir selbst näher und im Leben weiterzukommen.
Und wenn du dazu bereit bist, kannst du dich - gemeinsam mit ihm - von altem Ballast befreien und dann entspannt deinen Weg gehen.
Selbst-bewusst-Sein
Dein Hund gibt dir die Möglichkeit, dich selbst besser kennenzulernen, als es jeder Selbsterfahrungskurs je könnte. Denn er reagiert auf deine Gedanken, Gefühle und Körperaktionen - deine Energie - direkt und ehrlich.
Dein Körperbewusstsein verbessert sich, weil jede deiner Bewegungen bei ihm - dem Meister der Körpersprache - als Information ankommt.
Dir wird bewusst, welche Rolle deine Gedanken spielen, indem er bereits reagiert, noch bevor du zu Ende gedacht hast.
Du lernst wahrzunehmen, welche Gefühle wann in dir hochkochen - und wie du damit umgehen kannst.
Du wirst dir deiner Selbst bewusster.
Und genau das steigert auch dein Selbstbewusstsein in der Form, wie wir es kennen.
Denn wenn du deine Wahrnehmung schärfst, spürst du, welche Handlung zu welcher Zeit angebracht ist und hast die innere Kraft zu dieser Entscheidung zu stehen.
Fazit
Einem Hund aus dem Tierschutz ein Zuhause zu schenken, rettet nicht nur sein Leben, sondern kann deins unendlich bereichern. Ich behaupte sogar, es kann dich zu dem Menschen machen, der du wirklich bist.