Heike Micaela | Humanimal Spirit

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Einen Tierschutzhund adoptieren heißt, Verantwortung übernehmen

Katja Dalhöfer ist Mitgründerin des Tierschutzvereins Ein Herz für Streuner, der sich um die Versorgung und Vermittlung von rumänischen Straßenhunden kümmert, sowie von StyleSnout® *, einem Unternehmen, das u. a. Sicherheitsgeschirre für Hunde herstellt und vertreibt.

Tierschutz liegt ihr sehr am Herzen – vor allem das Verantwortungsbewusstsein der Adoptanten ihrer Schützlinge. Und genau darüber habe ich mit ihr gesprochen.

Liebe Katja, angenommen, ich finde auf eurer Website oder auf Facebook einen Hund, den ich adoptieren möchte. Wie kann ich mir einen Vermittlungsablauf vorstellen?

Zuerst klickst du bei dem Beitrag oder Album auf den Link, der dich zu unserer Selbstauskunft führt, die du dann bitte ausfüllst und uns zusendest. Sie gibt uns einen ersten Überblick über die Umgebung, Familie, bereits vorhandene Tiere etc. Eben alles, was für uns vorab wichtig ist, um uns ein erstes Bild zu machen.

Danach meldet sich ein Vermittler telefonisch bei dir. Das kann manchmal auch ein paar Tage dauern, da wir das alle ehrenamtlich machen und einem Hauptberuf nachgehen.
In diesem Telefonat besprechen wir dann alles Wichtige zu dir, zum Hund, dem Vermittlungsablauf und beantworten all deine Fragen.

Wenn alles passt, vereinbaren wir einen Termin für eine Vorkontrolle. Das heißt, es kommt jemand bei dir vorbei, um dich und die Bezugspersonen des Hundes kennenzulernen und sich die räumlichen Gegebenheiten anzuschauen. Dabei geht´s nicht darum, wie sauber geputzt ist, sondern ob es für den ausgesuchten Hund die passende Umgebung sein könnte.

Der Vorkontrolleur gibt den Bericht danach an den Vermittler weiter und du bekommst schnellstmöglich Bescheid, ob der Hund noch frei ist und bei dir einziehen darf.
Wenn wir beim ausgewählten Hund aus irgendeinem Grund ein Problem sehen, uns aber durchaus vorstellen können, dass sich ein anderer unserer Schützlinge bei dir wohlfühlen würde, machen wir dir entsprechende Vorschläge.

Wenn du dich sicher für einen Hund entschieden hast und von beiden Seiten alles geklärt ist, machen wir den Schutzvertrag und du überweist uns die Schutzgebühr.
Du bekommst alle Informationen, die du brauchst, um dich auf die Ankunft deines neuen Familienmitglieds vorzubereiten.

Zwei bis drei Tage bevor der Transporter aus Rumänien in Deutschland ankommt, starten wir einen WhatsApp-Chat für alle Adoptanten, die Hunde daraus in Empfang nehmen. Wir halten sie über alles auf dem Laufenden und beantworten noch auftauchende Fragen.

Am großen Tag nimmst du dann am vereinbarten Treffpunkt deinen Schützling doppelt gesichert mit Sicherheitsgeschirr, Halsband und Leine in Empfang und erhältst alle Papiere.

Der WhatsApp-Chat läuft noch ein paar Tage weiter und du kannst all deine Fragen stellen, die in den ersten Tagen unweigerlich auftauchen. Aber auch danach sind wir natürlich weiterhin für dich erreichbar.

Dann sollte doch jeder gut vorbereitet und sich bewusst sein, was es bedeutet, einen bzw. genau diesen Tierschutzhund bei sich aufzunehmen. Schließlich klärt ihr ungeschönt auf und gebt alle möglichen Hilfestellungen.

Alles, was wir über den Hund wissen, schreiben wir auf die Webseite, in die Anzeige und die Beschreibung. Aber meistens wissen wir nicht sehr viel. Das beginnt schon beim Alter.
Oft kommt der Hund über einen Dogcatcher (Hundefänger) ins Shelter und wird meist anhand der Zähne altersmäßig eingestuft.

Aber wenn so ein Tier zwei Jahre draußen gelebt hat, als Welpe nicht die entsprechenden Zusatzstoffe bekam, dann sind die Zähne halt nicht gut. Und auch das Leben in Rumänien auf der Straße tut sein Übriges. Die kalten Winter, die ganzen Autounfälle, bei denen die Tiere angefahren werden, usw.

Ich vermute, dass die Hunde manchmal jünger sind, als sie vor Ort eingeschätzt werden.
Und bei der charakterlichen Beschreibung können wir nur wiedergeben, was sich uns zeigt. Denn ein Hund verhält sich im Shelter verständlicherweise anders als in sicherer Umgebung.

Aber wenn wir zum Beispiel wissen, dass der Hund sich nicht anfassen lässt, schreiben wir das natürlich in den Text rein. Denn das ist dann eine sogenannte “Boxenübergabe“ (Hund wird in der Transportbox übergeben, die erst in einem geschlossenen Raum geöffnet werden darf).

Diesem Hund kann erstmal kein Geschirr angezogen werden, was bedeutet, dass er möglicherweise in den ersten Wochen und Monaten überhaupt nicht ausgeführt werden kann. Er braucht einen Raum, in dem er aus der Box rausgehen kann, um sich zu lösen und dann wieder zurück in die Box geht. Er braucht einfach andere Bedingungen.

Für manche Menschen ist das gar kein Problem, denn sie haben die passenden Gegebenheiten und Kenntnisse und nehmen nur solche Hunde.

Und es kommt auch vor, dass sich das Ganze nach zwei Tagen auf einmal wundersam löst, weil dort vielleicht ein oder zwei andere gut sozialisierte Hunde sind. Er auf einmal neugierig ist und rauskommt und sagt: “Och, das ist ja eigentlich ganz cool.“, und sich anfassen lässt.
Es kann aber auch sein, dass es zwei Monate dauert. Und dazu können wir eben keine Aussage machen. Nur darauf hinweisen und darüber aufklären.

Häufig haben wir auch Interessenten, die sagen: “Jaja, das ist schon klar. Nee, das wissen wir jetzt. Gar kein Problem. Er hat alle Zeit der Welt.“
Dann melden sie sich aber nach einer Woche und meinen: „Er kann jetzt immer noch nicht rausgehen. Also langsam ist es echt blöd. Ich kann ja immer noch kein Geschirr anziehen.“
Und wir denken dann: “Sorry, aber das haben wir gesagt!?“

Das ist unser Alltag.
Wobei die meisten Hunde keine “Boxenhunde“ sind, sondern mit Doppelsicherung (Sicherheitsgeschirr, Halsband, Leine) übergeben werden und eben einfach etwas Anlaufzeit brauchen. Sich an die neue Umgebung, die Menschen, Gegebenheiten usw. erst mal gewöhnen müssen. Auch das kann unter Umständen ein wenig dauern. Und auch darauf weisen wir hin.

Aber manchen Adoptanten ist es leider egal, worauf wir sie hingewiesen haben. Sie haben nur ein Ziel: Der Hund muss jetzt weg!

Das heißt, obwohl ihr darüber aufklärt, dass ein Hund aus dem Shelter nicht haargenau eingeschätzt werden kann und manchmal einfach mehr Anlaufzeit braucht oder schwieriger zu handhaben ist, gibt es Menschen, die den Hund plötzlich nicht mehr wollen?

Es gibt Menschen, die geben Welpen nach 24 Stunden zurück.
Die zum Beispiel samstags einen Welpen übernehmen und sonntags abends zurückgeben, weil er sie angeblich mit Durchfall angesteckt hat.

Es gibt Menschen, die geben den Hund nach drei Tagen ab, weil sie eine furchtbare ärztliche Diagnose bekommen haben, von der die Familie nichts wissen darf und der Hund deshalb vor der Haustür abgeholt werden muss.

Du wirst mit Geschichten konfrontiert … von … bis.

Und es gibt natürlich auch Menschen, die mit dem Tier schlicht und ergreifen überfordert sind, es sich ganz anders vorgestellt haben – und es eben einfach nicht passt.

Und was macht ihr dann mit den Hunden? Wie fangt ihr sie ab?

Das setzt den Vermittler und den Verein extrem unter Stress, weil wir den Hund nicht immer sofort umsetzen können.

Generell steht in den Verträgen, dass die Adoptanten den Hund so lange behalten müssen, bis wir das passende Zuhause gefunden haben oder eine passende Pflegestelle.
Und wir posten den Hund sofort wieder, machen auch gegebenenfalls Notfallposts.

Wir finden eine passende Lösung, nur nicht unbedingt von heute auf morgen.

Aber bei manchen ist es wirklich dringend – aus welchen Gründen auch immer.
Dann sind wir natürlich schon in Alarmbereitschaft und versuchen alles Mögliche durchzugehen: Hundepensionen, Pflegestellen, die umgehend einen Nothund aufnehmen können.

Es ist immer eine ungute Situation. Wir räumen eigentlich hinter den Menschen her, die einen Fehler gemacht haben. Was ihnen aber meist völlig egal ist.

Dass es dabei um ein Lebewesen geht, ist egal?

Ja, ist es. Sie geben dann einfach den Druck weiter. Und dadurch, dass sie ja keine emotionale Bindung zu dem Tier haben – denn sie wollen es ja loswerden – wir aber schon, sonst würden wir ja keinen Tierschutz machen, sind wir eben immer erpressbar.

Es ist immer ein Ungleichgewicht, denn wir können mit den Menschen eigentlich nicht richtig verhandeln.

Am Ende haben wir immer Sorge: Was machen sie denn? Machen sie jetzt die Tür auf und lassen ihn rauslaufen? Oder arbeiten sie ihre Aggressionen ab? Oder was passiert jetzt?

Und deswegen sind wir immer, auch wenn wir rechtlich und moralisch und so weiter in der stärkeren Position sind, es emotional eben einfach nicht.

Und das ist problematisch und verursacht allen Vereinen den meisten Stress.
Zumal, wenn wir dann am Telefon noch beschimpft werden.

Puh, das klingt ja nicht gerade nach Verantwortung übernehmen.
Kommen wir diesbezüglich mal zu einer anderen Sache: StyleSnout® hat ja Sicherheitsgeschirre im Programm, die ihr natürlich auch bei Ein Herz für Streuner einsetzt.
Sprich: Ihr gebt die Hunde nur mit den Sicherheitsgeschirren raus.
Wie verantwortungsvoll gehen denn die Adoptanten mit der Hundesicherung um?

Das machen sie schon ganz gut. Von uns wird auch immer darauf hingewiesen.

Wenn die Hunde angekommen sind, läuft der WhatsApp-Chat noch mindestens zwei Tage weiter. Da werden viele Bilder reingepostet und wenn dann jemand zum Beispiel im Garten den Hund nicht an der Leine hat, weisen wir sofort darauf hin – außer die Mauer ist drei Meter hoch. Der Hund muss auf jeden Fall an die Leine und der GPS-Tracker muss dran sein.

Nichtsdestotrotz gibt es leider immer mal wieder Hunde, die aus verschiedenen Situationen weglaufen. Manchmal sind es wirklich ganz dumme Verknüpfungen. Manchmal ist es auch fahrlässig. Da wird natürlich sofort eine Suchaktion gestartet.

Aber eigentlich nutzen die Adoptanten das Sicherheitsgeschirr schon ganz gut. Und das macht ja auch Sinn, denn aus einem normalen Geschirr kommt jeder Hund raus.
Das verstehen unsere Adoptanten durchaus.

Katja Dalhöfer mit ihren Hunden Sunny und Finn - beide aus dem Tierschutz

Was würdest du dir noch von Adoptanten wünschen?

Dass sie sich wirklich ernsthaft damit auseinandersetzen: Warum möchte ich einen Hund? Was ist mein Beweggrund? Und was kann ich kurz-, mittel- und langfristig leisten?

Fragen, die du auch in deinem Online-Kurs 108 innere Schritte mit deinem Tierschutzhund stellst, den ich übrigens klasse finde, denn er ist eine super Hilfestellung für Menschen, die überlegen, einen Hund aus dem Tierschutz zu adoptieren oder es schon getan haben.
Wenn man den durchläuft und sich nur die Hälfte deiner Fragen ehrlich beantwortet, dann müsste man schon wissen, ob man das kann oder nicht.

Natürlich gibt es immer Situationen im Leben, die man nicht im Voraus planen kann. Wenn man sagt: “Wenn ich einen Unfall habe, kümmert sich mein Mann um den Hund.“ Wenn zwei einen Unfall haben, dann ist halt keiner mehr da, der sich kümmert. Und dann gibt es vielleicht die Situation, wo der Hund ein neues Zuhause braucht.

Es gibt auch Möglichkeit, dass auf einmal jemand eine Tierhaarallergie hat. Ja, okay, kennen wir auch als Ausrede ...
Aber es gibt Dinge, auf die man sich vielleicht vorher nicht einlassen konnte oder die man vorher vielleicht nicht so genau wusste und weswegen der Hund ein neues Zuhause braucht.
Aber dass man uns dann bitte wirklich die Zeit lässt, das richtige, passende Zuhause zu finden. Das finden wir auch.

Also ich wünsche mir, dass sich einfach jeder überlegt: Was kann ich wirklich zu 100 Prozent leisten? Mehr ist es eigentlich nicht. Und dann auch dazu zu stehen.

Sich der Verantwortung bewusst zu sein.

Ja, denn wir gehen ja nicht von Haus zu Haus und fragen: „Wollt ihr einen Hund?“

Wir kommen ja nicht auf die Menschen zu, sondern die Interessenten kommen ja auf uns zu – füllen einen Bogen aus und so weiter.  Aber dass sie das wirklich nicht aus Langeweile machen oder aus einer Laune heraus, sondern sich – wie du sagst – der Verantwortung bewusst sind.

Es muss ja nicht jeder einen Hund haben. Überhaupt nicht. Es gibt Menschen, die fantastisch sind, auch ohne Hund. Meinetwegen braucht nicht jeder einen Hund.

Aber die, die sich bewerben, die sollten sich einfach bewusst sein, was es bedeutet, einen Hund zu haben – und was es auch finanziell bedeutet. Denn das ist auch ein nicht unbeträchtlicher Kostenfaktor. Und das hat nicht nur mit Futter zu tun. Das sind Tierarztkosten, Versicherungen und so weiter.

Ja, das bedenken leider viele Menschen nicht.
Ist dir noch etwas wichtig, das unbedingt gesagt werden sollte?

Das Einzige, was mir jetzt noch einfällt, ist das Thema Herdenschutzhunde.

Das ist so ein Stichwort, gerade bei Hunden, die aus Rumänien kommen. Dort gibt es viele Herdenschutzhunde, deren Aufgabe darin besteht, Schafherden zu bewachen und zu schützen.

Und leider wird, wenn der Hund weg soll, sehr oft argumentiert: „Ja, das ist aber ein Herdenschutzhund. Und den hätten Sie uns gar nicht vermitteln dürfen. Und das hat unser Trainer gesagt oder unser Tierarzt oder wer auch immer.“ 

Absolut unverständlich, denn Herdenschutzhunde sind fantastische Hunde. die eben eine gewisse Prägung haben. So wie der Schäferhund eine Prägung hat. So wie der Hütehund eine Prägung hat. So wie der Pudel eine Prägung hat. 

Natürlich sollte man einen Herdenschutzhund nicht direkt in Berlin-Mitte halten, wenn man im Café arbeitet und täglich 300 Leute reinkommen. Aber er braucht auch nicht zwingend eine Ponderosa. Die hat auch nicht jeder. 

Und man kann durchaus auch mit einem Herdenschutzhund fantastisch arbeiten. Die wollen auch arbeiten und lernen – nur mit etwas anderer Herleitung.
Und sie sind ganz und gar nicht diese „Teufelshunde“, die sofort das Regiment übernehmen. Sondern es sind ganz tolle Hunde, die eben einfach ihre Familie schützen wollen.

Es tut mir immer leid, dass sie dann plötzlich zu „No-Go-Hunden“ werden. Ähnlich wie die Listenhunde, das ist leider auch ein Drama für sich.

Dabei sind das ganz wunderbare, schlaue, feinfühlige Tiere. Die leider von Geburt an dazu verdammt sind, sehr viel Glück haben zu müssen, so einer Hölle wie Rumänien oder anderen Ländern zu entkommen, und einen Besitzer zu finden, der sie genauso liebevoll behandelt, wie sie es verdient haben.

Und das wird leider immer schwieriger, weil es immer weniger Länder gibt, die so tolerant sind, diese Tiere reinzulassen.

Ja, geht ja leider in Deutschland auch schon nicht mehr.

Schon lange nicht mehr, genau.

Das mit den Herdenschutzhunden kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich bin absoluter Herdi-Liebhaber – habe ja selbst einen Mix – und hatte einige im Training. Du kannst sehr gut mit ihnen arbeiten, aber eben anders.
Leider kennen sich nur wenige Hundetrainer wirklich damit aus. Sie werden oftmals völlig missverstanden und auch nicht adäquat geführt.
Aber es sind tolle Hunde, die einem sehr viel über sich selbst beibringen können, wenn man sich drauf einlässt. Ich spreche da aus Erfahrung …

Zum Thema Hundeschulen muss man leider sagen, dass bei der aktuellen Flut an Trainern, die Adoptanten, die sich Hilfe holen wollen, nicht wissen, ob er jetzt wirklich kompetent ist oder nicht.

Denn es kann sein, dass er vielleicht eine ganz tolle Website hat und die Welpen-Spielstunde von allen gelobt wird, aber er anderweitig leider überhaupt keine Kompetenz hat.

Es bräuchte vor allem Trainer, die sich mit Tierschutzhunden auskennen.

Deswegen geben wir im Zweifelsfall auch immer Tipps und schauen – wenn wir eine Postleitzahl haben – wen wir da empfehlen können.

Das finde ich sehr gut.
Ich danke dir für das Gespräch und den Einblick in eure Arbeit.

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